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Acetum herstellen – Anwendung, Arten und Rezept

Dass Essig (Acetum) mehr als nur ein Lebensmittel ist, entdeckte man bereits in der Antike. In diversen Kräuterbüchern aus der damaligen Zeit finden sich ausgewählte Rezepturen für medizinischen Essig und Essigklistiere, die sowohl äußerlich als auch innerlich zur Behandlung von Krankheiten angewendet wurden. Doch wie genau entsteht die Heilwirkung von Essig und wie kann man selbst medizinisches Acetum herstellen? Der nachstehende Leitfaden gibt Antworten.

Wissenswertes: Gemäß der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehört Essigsäure zu den wichtigsten medizinischen Wirkstoffen überhaupt, die unter anderem zur Behandlung von HNO-Erkrankungen im Kindesalter empfohlen werden. Es handelt sich also um ein vergleichsweise mildes und auch für Kinder geeignetes Arzneimittel, das nach Empfehlung vieler Gesundheitsexperten in keiner Hausapotheke fehlen sollte.

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Grundlagen zur Herstellung von Acetum

Dass Essig gerne zur Herstellung von saurem Eingemachten wie den Essiggurken verwendet wird, hat seinen Grund. Denn Essig ist ein ausgezeichnetes Konservierungsmittel, das Bakterien und andere Keime erfolgreich von eingemachten Lebensmitteln fernhält.

Als Hauptwirkstoff von Essig gilt die desinfizierende Essigsäure. Indem sie den pH-Wert in den sauren Bereich absenkt, macht sie sowohl Oberflächen als auch Körperpartien und Organe für Keime unattraktiv. Doch Essigsäure hat noch weitere heilsame Eigenschaften. Darüber hinaus lassen sich dem Acetum durch heilsame Kräuter noch weitere Heilwirkungen zusetzen.

 

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Unterschiedliche Essigarten, ein Hauptwirkstoff: Essigsäure

Acetum in der Medizin

Sowohl die alten Ägypter und Perser, als auch die Griechen und Römer wussten, wie man Essig als desinfizierende Lösung nutzt, um Trinkwasser zu reinigen, Infektionen zu lindern und Wunden zu versorgen. Spätestes seit Hippokrates ist zudem die Anwendung von Acetum gegen Atemwegserkrankungen und Verdauungsbeschwerden bekannt.

Im Mittelalter versuchte man sogar, die Pest mit Acetum zu bekämpfen. Wohl bekannt ist hier der sogenannte Pestessig als Mittel zur Seuchenbekämpfung. Dabei handelte es sich in der Regel um einen intensiv duftenden Kräuteressig. Der starke Duft war auf Heilkräuter mit einem hohen Gehalt an desinfizierenden, ätherischen Ölen zurückzuführen. Belegt sind diesbezüglich unter anderem Zutaten wie Lavendel, Nelken, Raute, Rose, Rosmarin und Salbei. In dieser Funktion als Desinfektionsmittel bekannt waren schon seit dem 15. Jahrhundert Acetum prophylacticum, Acetum antisepticum und Acetum aromaticum.

Eine bedeutende historische Quelle für Belege zur traditionellen Anwendung von medizinischem Essig ist die Enzyklopädie der Volksmedizin des deutschen Arztes und Dichters Georg Friedrich Most aus dem Jahre 1843. Darin schreibt Most insbesondere dem Weinessig (Acetum vini) eine sekretfördernde, entgiftende, fiebersenkende, immunstärkende, blut- und schmerzstillende Wirkung zu. Weiterhin wurden Aceta wie die Thedensche Arquebusade laut Most im 19. Jahrhundert für Umschläge, Waschungen und Essigbäder zur äußeren Behandlung von Quetschungen, Prellungen, Wunden und Vergiftungen eingesetzt.

 

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Pestessig gehörte früher neben der berühmten Schnabelmaske zur Grundausstattung eines jeden Pestdoktors

Acetum in der Kosmetik

Ebenfalls schon seit der Antike bekannt, ist die Nutzung von Essig als Zutat für Kosmetik. So gab die legendäre Königin Kleopatra neben erlesenen Zutaten wie Honig und Totes-Meer-Salz beispielsweise auch immer einen Schuss Essig in ihre berühmten Milchbäder.

In moderner Kosmetik ist Essig häufig als natürliches Konservierungsmittel anzutreffen, kann aber gerade mit Blick auf Hautinfektionen und chronische Hauterkrankungen wie Schuppenflechte auch zur Besserung des Hautbildes beitragen, indem es (z.B. als Zutat von Peelings) die Ablösung abgestorbener Hautzellen beschleunigt. Unerlässlich ist Essig ferner für die natürliche Haarpflege und hier insbesondere als reinigende Spülung für sehr feines und glattes Haar.

In der Parfümerie ist des Weiteren die Herstellung von Duftessigen wie Rosenessig, Lavendelessig oder Orangenessig gebräuchlich. Die oft als Vinaigre de Toilette bezeichneten Parfümessige werden dann als aromatische Komponenten für Parfümdüfte verwendet.

 

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Auch in der Naturkosmetik hochgeschätzt: pflegende und wohlriechende Duftessige wie Lavendelessig

Verwendete Essigsorten für Acetum

Will man medizinisches Acetum herstellen, ist die Auswahl der richtigen Kräuter ebenso von Bedeutung wie die Wahl des richtigen Basisessigs. Dabei gibt es einige Essigsorten, die anderen Essigen aus medizinischer Sicht deutlich überlegen sind. Hierzu gehören:

  • Weinessig
  • Branntweinessig
  • Obstessig (v.a. Apfelessig)
  • Honigessig

Aus diesen Basisessigen wird im weiteren Verlauf unter Zusatz von Kräutern ein sogenannter Ansatzessig hergestellt. Viele Obstessige werden diesbezüglich mit Weinessig als Basisessig hergestellt. Das Extraktionsverfahren ähnelt dem der Tinkturenherstellung und stellt wie diese eine Teildisziplin der Mazeration dar. Beide Mazerat-Arten zählten früher zu den essenziellen Arzneimitteln, die in Apotheken erhältlich waren. Und noch heute findet man sie auf der Inhaltsstoffliste zahlreicher Medikamente.

 

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Übrigens: Viele Essigsorten werden aus alkoholischen Basisflüssgikeiten wie Wein, Bier oder Apfelmost hergestellt und müssen wie diese zur Gärung lange in Fässern reifen

Acetum herstellen: Wichtige Arten und ihre Anwendung

Most nennt in seiner Enzyklopädie der Volksmedizin einige besonders wichtige Varianten des Acetum für den medizinischen Gebrauch. Daneben gibt es auch Aceta, die beispielsweise in der Pflanzenkultur als natürliche Pestizide eingesetzt werden. Hier ein kleiner Überblick:

 

Apfelessig (Acetum Malum)

Apfelessig wird unter allen Essigsorten besonders vielseitig verwendet. Einerseits wird er im Garten gerne als natürliches Pflanzenschutzmittel gegen Unkraut und Schädlinge gesprüht. Andererseits ist er auch als gutes Naturheilmittel gegen Ekzeme, Schuppenflechte und Hautinfektionen wie Fußpilz bekannt. In der Naturheilkunde findet er als desinfizierende Mundspülung, Haarspülung für feines Haar und Badezusatz Verwendung. Außerdem sollen Essigkuren beim Entschlacken und Abnehmen helfen.

Herstellen kann man Apfelessig ganz einfach, indem man etwa 3 große Äpfel in ca. 1 l Weinessig oder Branntweinessig einlegt und das Acetum für etwa drei Wochen an einem kühlen und dunklen Ort ziehen lässt. Die Kombination aus Apfel und Essig sorgt für einen besonders hohen Nährstoffgehalt bestehend aus Mineralstoffen wie Eisen, Kalium, Kalzium, Magnesium, Silizium und Zink und Vitaminen wie Vitamin A, B-Vitaminen, Vitamin C und Vitamin E. Darüber hinaus sind wertvolle Flavonoide und Aminosäuren im Apfelessig enthalten.

 

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Der Klassiker: Apfelessig ist sowohl als Speiseessig als auch medizinischer Essig in Gebrauch

Himbeeressig (Acetum Rubi idaei)

Gegen Fieberkrankheiten, Windpocken, Scharlach oder Masern wird gerne Himbeeressig genutzt. Überdies ist er auch hervorragend zum Verfeinern von fruchtigen Salaten geeignet.

Um Himbeeressig herzustellen, gibt man etwa 500 g Himbeeren in 1 l Weinessig und lässt den Ansatzessig für etwa 7 Tage ziehen. Man kann anschließend etwa 2 bis 3 TL des Himbeeressigs in einem Glas Wasser verabreichen.

 

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Der Fruchtige: Himbeeressig eignet sich nicht nur zum Verfeinern, sondern auch zur Behandlung von Infektionen

Kräuteressig (Acetum aromaticum)

Kräuteressig ist das klassische Acetum aus der mittelalterlichen Apotheke. Es gibt ihn in diversen Ausführungen, darunter:

  • Apotheker-Essig Nr. 74
  • Rautenessig (Acetum Rutae)
  • Pestessig (Acetum pestilentiale)

Kräuteressig lässt sich sowohl als Riechmittel bei Ohnmacht, als auch bei Verdauungsbeschwerden, Hautbeschwerden und Infektionen verwenden. Die Rezepturen variieren, jedoch sind würzig-aromatische Heilkräuter, die reich an ätherischen Ölen sind (z.B. Lavendel, Rosmarin oder Salbei), allgemein üblich.

 

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Die Vielseitigen: -Medizinische Kräuteressige enthalten zusätzlich zur heilsamen Essigsäure noch weitere hochwirksame Inhaltsstoffe

Essigäther (Aether aceticus)

Auch als Essignaphtha (Naphtha aceti) bekannt, bildet Essigäther die Grundlage für verschiedene Essiggeister, Essigsäfte und Essigtropfen, zum Beispiel:

  • ätherischer Essiggeist (Spiritus acetico-aethereus)
  • Salpetergeist (Spiritus nitri dulcis)
  • Salzgeist (Spiritus salis dulcis)
  • Hoffmansstropfen (Liquor anodynus mineralis Hoffmanni)
  • Werlhofischer Brustsaft (Linctus pectoralis Werlhofi)

Diese wurden entweder als Riechmittel bei Ohnmacht, Stärkungsmittel bei Schwächegefühl, Hustenmittel bei Atemwegserkrankungen oder aber bei Depressionen, Herzbeschwerden und Krampfleiden bzw. Epilepsie verabreicht.

 

Balsamico Essig (Acetum balsamicum)

Den meisten eher als erlesene Zutat für mediterrane Salate und Antipasti bekannt, lässt sich hochwertiger Balsamessig alias Balsamico auch als non-alkoholische Alternative zum Verdauungsschnaps verwenden. Hergestellt wird Balsamico Essig dabei durch Eindicken des Mostes von Spätlese-Traubensorten wie die des Lambrusco oder Trebbiano.

 

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Der Würzige: Als leicht bekömmliche Essigsorte wird Balsamico einerseits zum Verfeinern mediterraner Gerichte, andererseits als Digestif genutzt

Sauerhonig (Oxymel simplex)

Aus einem Teil Weinessig und zwei Teilen Honig zubereitet, stellt der Sauerhonig ein klassisches Fieber- und Erkältungsmittel dar. Er muss während der Zubereitung stark reduziert werden, um ausreichend einzudicken.

 

Medizinisches Acetum herstellen: Rezept und Anleitung

Für unseren medizinischen Kräuteressig orientieren wir uns an einem traditionellen Rezept für den sogenannten Vierräuberessig (Acetum quattuor latronum). Der antibiotische und auch für die frühe Kosmetik relevante Kräuteressig wurde im Mittelalter unter anderem als Pestessig und bis ins 19. Jahrhundert zum Desinfizieren von Krankenzimmern verwendet. Ergänzend kann man ihn auch für Waschungen und Sitzbäder nutzen. Aus Meyers Konversations-Lexikon von 1888 ist folgendes Rezept überliefert:

 

Zutaten:

  • 2 l Weinessig
  • 30 ml Vodka oder Branntwein
  • 30 g Lavendel
  • 22,5 g Pfefferminze
  • 22,5 g Raute
  • 22,5 g Rosmarin
  • 22,5 g Salbei
  • 22,5 g Wermut
  • 11 g Kampfer
  • 3,75 g Engelwurz
  • 3,75 g Gewürznelke
  • 3,75 g Kalmuswurzel
  • 3,75 g Knoblauch
  • 3,75 g Muskatnuss
  • 3,75 g Zimt

 

Zubereitung:

Gebt mit Ausnahme des Kampfers alle Gewürze in ein großes 2 Liter Schraubglas und füllt das Ganze mit Weinessig auf. Der Ansatzessig muss nun drei Wochen lang ziehen.

Gleichzeitig stellt Ihr in einem separaten Schraubglas aus Kampfer und Vodka oder Branntwein eine Kampfertinktur nach demselben Prinzip her. Alternativ könnt Ihr auch fertige Kampfertinktur aus dem Handel nutzen.

Nach Ablauf der Reifezeit filtert Ihr die Kräuter aus beiden Extrakten ab und mischt beides zusammen. In dunklen Glasflaschen kühl gelagert, hält sich das Acetum mindestens ein Jahr lang, meist aber mehrere Jahre.

 

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