Kräuterarchiv
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Hält sich deine Nase geradeaus anstatt links oder rechts, so trifft sie recht zuverlässig auf den Geruch verschiedener Kräuter. Tatsächlich ragt im Kräuterarchiv aus so manchem Regalfach das ein oder andere markant duftende Gewächse mit auffälligen Blüten, Blättern oder Früchten. Insgesamt ist diese Archivsektion in fünf verschiedene Korridore unterteilt, die gemeinsam einen geschlossenen Themenkomplex bilden.
In die Regalreihen integriert befindet sich im Kräuterarchiv ein Schreib- und Studierpult. Hier werden Kräuter archiviert, analysiert und portraitiert. Ein paar wunderschöne Pflanzenzeichnungen liegen aus, die wohl von der jüngsten Arbeit der verantwortlichen Kräuterkundigen zeugen. Geheimnisvolle Wurzeln wie die Alraune sowie wohlriechende Tee- und Beerenkräuter prangen von den Skizzen, scheinen allerdings nicht nicht ganz vollendet zu sein.
Auf dem Sekretär der naturheilkundlichen Arbeitsniesche sind verschiedene Ausgaben einer Buchreihe zum Thema Kräuterwelten ausgestellt. Verkaufsexemplare können im Kräuterarchiv gegen eine geringe Gebühr erstanden werden:
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Direkt daneben sind in mehreren Vitrinen mystisch anmutende Phiolen und Kräutergläser in den wunderlichsten Formen verstaut. Kräuteröle, hochprozentige Tinkturen, Salbentiegel, getrocknete Pflanzenteile – den Beschriftungen ist zu entnehmen, dass sich unter den Mixturen sogar ein paar Zaubertränke befinden.
Je tiefer du dich in die Korridore des Kräuterarchivs vorarbeitest, desto mehr gleicht der Archivflügel einer Kräuterküche. Extraktionstische reihen sich an Trockenbänke für Kräuter und auf einem schweren Eichentisch im Zentrum einer regalfreien Fläche befindet sich das unverkennbare Arbeitswerkzeug eines Kräuterkundigen. Mörser, Stößel, Kräutersichel – es ist alles da. Was es mit dem vermeintlichen Laubhaufen in der Mitte des Tisches auf sich hat, versuchst du gerade noch zu entschlüsseln. Offenbar wurden sie vor einiger getrocknet und schimmern nun anstatt in saftigem Grün in schillerndem Türkis, Rotgold und Beige. Ihrem Geruch sowie der elliptischen Form nach zu urteilen, handelt es sich um Lorbeerblätter.

Das Licht, das durch die Glaskuppel über der Arbeitsfläche hinunter auf die Lorbeerkräuter fällt, zaubert die fantastischsten Farben auf das Blattwerk. Einige schimmern bräunlich-gelb, andere rötlich und wieder andere grünlich-türkis, was ein einmaliges Farbspiel auf dem Tisch verursacht. Beim Betrachten entdeckst du dann auch endlich ein kleines Notizschreiben, das dir mehr über Sinn und Zweck dieser aromatischen Auslage verrät. Es ist handschriftlich verfasst – offensichtlich mit einer Feder – und noch nicht ganz abgeschlossen. Der Wortlaut reicht aber dennoch aus, um dich von der Bestimmung der Lorbeerblätter in Kenntnis zu sezten:
„[…] Charakteristisch für Ernährungskräuter nach Hildegard ist weiterhin, dass die Klosterfrau oftmals auf Kräuter setzte, die heute als banale Wildpflanzen und Unkräuter in Aue und Wiese kaum mehr Beachtung finden. Das betrifft unter anderem die als Unkraut verschriene Brennnessel, die von Hildegard sehr vielseitig genutzt wurde. Ob als Brennnesseltee oder Brennnesselsuppe – die Anwendungen der Pflanze im Ernährungsbereich durch die Kräuterfrau waren sehr umfassend und reichten von der Behandlung schmerzhafter Blasenentzündungen bis hin zu Entwässerungskuren im Sinne der Stoffwechselreinigung.
Ebenfalls große Stücke hielt Hildegard auf eher orientalische bis fernöstliche Kräuter. Als Klosterfrau waren ihr freilich die großen Archive der Kirche zugänglich, in denen literarische Schätze aus aller Welt gesammelt und übersetzt wurden, darunter zahlreiche Kräuterbücher arabischer und asiatischer Herkunft. So kannte Hildegard zum Beispiel eine spezielle Rezeptur für Garam Masala bestehend aus Muskat, Koriander, Kreuzkümmel, Kardamom, Nelken, Pfeffer, Anis, Fenchelsamen, Zimt und Lorbeer. Und auch das Kochen mit Ingwer, Galgant und Knoblauch, drei einschlägig fernöstliche Kräuterwurzeln mit stark antibiotischer Wirkung, war Hildegard nicht fremd. […]“
Offenbar evaluiert hier gerade jemand das Werk der bedeutendsten Kräuterhexen der Menschheit. Das, oder er bzw. sie versucht, eine Vorratsration an Garam Masala herzustellen. Die regionale Nachfrage muss ja unwahrscheinlich groß sein bei dieser Menge an Lorbeer. Oder gibt es gar Abnehmer, die von weiter her stammen? Einem kurzen Gedanken an die Gewürzmärkte und Handelsschiffe vergangener Zeiten kannst du dich beim Rästeln über die Kundschaft, die das Kräuterarchiv bedient jedenfalls nicht mehr erwehren.
Es dauert auch nicht lange, bis dich das Gefühl beschleicht, hier in Wahrheit auf eine Privatapotheke gestoßen zu sein. Die vielen Naturheilmittel in den Schränken, ebenso wie die eindeutig zu Behandlungszwecken bestimmten Utensilien im Vitrinenkasten legen es zumindest nache. Das Grüne Archiv hat offensichtlich eine wesentlich komplexere Funktion, als es zunächst den Anschein hat. Nicht nur Bücher und Manuskripte werden hier archiviert, sondern offenbar auch Pflanzen und Pflanzenextrakte. Als Treffpunkt für Kräuterhändler und Naturläden scheint dieser Flügel des Archivs nicht abgwegig.Womöglich dienen die Bibliothekgewölbe sogar als Ausgabe für pflanzliche Heilmittel oder als Beratungsstelle für Kranke, Heilkundige und angehende Gelehrte.
Du musst die Hallen fürwahr zu einem seltenen Zeitpunkt außerhalb der Hauptbetriebszeit erwischt haben, so still wie es gerade ist. Ein Augenblick der Ruhe, den du unbedingt zum auskundschaften der hiesigen Kräuterlektüre nutzen solltest. Eine gemütliche Leseecke befindet sich jedenfalls vor dem großen Fensterbogen, der den Kräuterkorridor nach hinten vom Außengarten abgrenzt. Die hohen Fensterscheiben erlauben einen recht großzügigen Blick auf den archiveigenen Kräutergarten, in dem teils längst vergessene Heilkräuter üppig sprießen. Borretsch, verschiedene Distelarten, Eibisch und Hibisken weisen den Weg hinab in einen Obst- und Gemüsehain, der das Baumplateau des Grünen Archivs mit einem nahegelegenen Landgut verbindet.
Über die nützliche Pagode wachen still schlank gewachsene Zypressensäulen, die in alle vier Windrichtungen des Hains weitläufige Baumalleen in die rings umher wuchernden Waldgebiete säumen. Viele Füße finden anscheinend regelmäßig ihren Weg in den Nutzpflanzengarten und die Kräuterbeete, die wie ein gut im Walddickicht verborgener Schatz anmutet.
Bevor du dich in der Sicht nach draußen aber noch zu sehr verlierst, stöberst du lieber etwas im Kräuterfundus des Archivs. Eine kleine Notiz wurde mit einer Fibula neckisch an die Front der mittleren Regalreihe im Kräuterarchiv gespickt. Darauf zu lesen ist: